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Tod im Orkan
Der Untergang des gewaltigen Schulseglers »Pamir« 1957 ist unvergessen. Viele Rätsel umgeben das größte Schiffsunglück der deutschen Nachkriegsgeschichte – jetzt hat das Fernsehen die maritime Tragödie verfilmt. VON KLAUS J. HENNIG
19. November 2006 11:30 Uhr
Am 11. August 1957, kurz nach 15 Uhr Ortszeit, verlässt die deutsche Viermastbark Pamir den Hafen von Buenos Aires. Ihr Reiseziel heißt Hamburg. Die Fahrt des prachtvollen Seglers durch den Südatlantik verläuft ohne besondere Vorkommnisse, in den windarmen Mallungen zwischen den Passatgebieten hilft allerdings der Motor den (maximal) 34 Segeln ein wenig nach, da schiebt dann der 900-PS-Diesel das 115 Meter lange Schulschiff voran. Am 31. August wird die »Linie« überquert, jedoch ohne die üblichen Zeremonien. Der seemännische Nachwuchs hatte seine Äquatortaufe bereits auf der Hinreise im Juni erlitten.
Zwei Tage später beobachtet die Besatzung eines Passagierflugzeuges südöstlich der Kapverdischen Inseln die Entstehung eines Tiefdruckwirbels, der sich auf seinen naturbestimmten Weg in die Karibik macht und schon vier Tage später als ausgewachsener Hurrikan den Dampfer African Star in Bedrängnis bringt. Die Seefunkstelle NSS in Washington, D.C., registriert ihn als dritten der Saison unter dem Buchstaben »C«; bald wird die Furie Carrie getauft – ein zärtlicher Name für einen Ausbund an Heimtücke.
Segler nehmen, anders als Motorschiffe oder Flugzeuge, nicht immer den kürzesten Weg zwischen Ausgangs- und Zielhafen, auf den Ozeanen halten sie sich an die in weiten Bögen wehenden Passatwinde. Schriebe einer, an der Mündung des Rio de la Plata beginnend und im Ärmelkanal endend, auf die Atlantikkarte ein großes »S«, so hätte er den Kurs eines von Argentinien nach Europa gehenden Rahseglers recht genau nachgezeichnet.
Am 10. September hat die Pamir die Kapverden querab an Steuerbord. Sie will ihren Nordwestkurs noch etwa eine Woche beibehalten, um dann westlich der Azoren Nord steuernd in die Westwinddrift und mit ihr durch den Ärmelkanal in die Nordsee zu laufen.
Während des Monats September gibt es die meisten Hurrikans – exakt 2,8 sind es im statistischen Mittel. In solch einem gegen den Uhrzeiger drehenden Orkanwirbel bläst der Sturm mit extrem unterschiedlichen Stärken aus allen Richtungen. Im Zentrum, dem »Auge«, laufen bei oft klarem Himmel und minimaler Luftbewegung riesige Seen wild durcheinander; 12-Meter-Wellen können auf doppelte Höhe anwachsen und aus unvorhersehbaren Richtungen auf ein Schiff einschlagen. Schon wenige hundert Meter weiter, im »Orkanring«, kann es abrupt zu Windgeschwindigkeiten von deutlich über 100 Knoten (185 Kilometer pro Stunde) kommen.
In der Nacht zum 11. September, noch weit vor den karibischen Inseln, verlässt Carrie plötzlich ihren erwarteten westlichen Kurs, schwenkt scharf nach Nord, dann nordwestlich an den Bermudas vorbei. Wie eine spielende Katze, die an einer Maus nicht interessiert zu sein vorgibt, sie aber im Auge behält und erst, wenn sie zu entkommen scheint, jählings erlegt, so bricht Carrie am 17. ihren Kurs auf die US-Hauptstadt Washington plötzlich ab, um in südöstlicher Richtung zurückzulaufen. In rasendem Tempo geht sie nun auf Ostkurs – und am 21. September morgens stürzt sie sich auf die gut 600 Seemeilen südwestlich der Azoren stehende Pamir . Die Furie reißt dem Schiff die Segel von den Rahen, drückt die Masten aufs Wasser und lässt es am Mittag durchkentern. In wenigen Stunden ist sie weitergezogen; fünf Tage später weht der Hurrikan als gewöhnlicher Herbststurm über der Bretagne aus.
Als die ersten Nachrichten vom Unglück in der Heimat eintreffen, ist das Entsetzen groß. Die außergewöhnliche Bestürzung über den Untergang eines der letzten aktiven Großsegler gilt den vielen noch ganz jungen Männern, die dabei ums Leben kamen. Denn außer der Stammbesatzung fahren über fünfzig Auszubildende, künftige Handelsschiffsoffiziere, auf der Pamir, die meisten von ihnen noch keine 20 Jahre alt. Wie gebannt hocken die Menschen vor den Radios. Zeitungen, die auf Sonderseiten berichten, finden reißenden Absatz. Sie titeln als wären sie am Ort: »Nächtliches Drama im Atlantik – 20-Meter-Wellen – 45 Grad Schlagseite – Mast und alle Segel verloren – Pamir funkt: ›SOS! Wir sinken!‹ – Alles in die Boote – Bittgottesdienste für die Pamir – Trauer an der Waterkant – Die Retter kamen aus einem Regenbogen« … Und mit Riesenlettern lässt der Hörfehler eines Funkers die Boulevardpresse jubeln: »Funkspruch vom Ozean: Wir haben noch mehr gerettet – 41 Überlebende von der Pamir gerettet – alle wohlauf.«
Doch tatsächlich überleben von den 86 Männern nur sechs. »Eckpunkte des deutschen Schicksals«, »mythische Pfeiler der deutschen Geschichte« werden in trauerumflorten Leitartikeln beschworen, und von einer »schichtenübergreifenden, Identität stiftenden emotionalen« Ergriffenheit konnte man schon damals lesen. Es war, als ob sich das »Wunder von Bern«, der so triumphal gefeierte Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz drei Jahre zuvor, plötzlich in einer nationalen Tragödie noch einmal spiegelte. Unvergessen indes ist der Untergang der Pamir bis heute geblieben, und es überrascht nicht, dass das Fernsehen, immer auf der Suche nach zeithistorischem Spektakel, sich jetzt auch dieses Dramas angenommen hat.
In Hamburg war die Pamir bei Blohm und Voss vom Stapel gelaufen, 1905, um in der Salpeterfahrt nach Chile eingesetzt zu werden (Salpeter brauchte man vor allem für Dünger, auch für Munition). Tradition der Reederei Laeisz war es, zu Ehren der Schwiegertochter des Reeders Ferdinand Laeisz, die in der Familie wegen ihres krausen Haars nur »Pudel« hieß, die Namen aller Schiffe mit einem »P« beginnen zu lassen – Flying-P-Liners wurden sie bewundernd genannt. Acht der um die 100 Meter langen Viermastbarken, zwischen 1903 und 1926 gebaut, hießen die Acht Schwestern, weil selbst Fachleute sie kaum zu unterscheiden wussten. Die Pamir war die dritte.
»Sie ist ein 13-Knoten-Schiff«, sagte ihr erster Kapitän Carl Martin Prützmann über ihre Höchstgeschwindigkeit. Die Durchschnittsleistung in wechselnden Wettern und Strömungen betrug etwa die Hälfte, sechs bis sieben Seemeilen in der Stunde. Für harte Kap-Hoorn-Umrundungen sehr stark gebaut, Rumpf und Masten aus Stahl, konnte sie auch bei Starkwind noch viele Segel tragen und machte deshalb beachtlich schnelle Reisen.
Den Ersten Weltkrieg überlebte sie an sicherem Ort. Durch Flaggensignale eines deutschen Hilfskreuzers vor der Heimkehr gewarnt, verbrachte sie die Jahre zwischen 1914 und 1918 auf der Reede der kanarischen Insel La Palma; Spanien blieb neutral. Ein Matrose schlug sich von dort nach Deutschland durch. Doch Johannes Diebitsch sollte das Schiff wiedersehen, die Pamir ihm zum Schicksal werden…
Sie kam nach Italien, auch Segelschiffe mussten als Kriegsentschädigung abgeliefert werden. Dort gab es kaum noch qualifizierte Segelschiffsmannschaften, so konnte die Reederei ihr Schiff für lächerliche 7000 Pfund Sterling zurückkaufen. 1924 segelte die Pamir wieder unter Laeisz-Flagge, wetterte Stürme ab, verlor dabei Segel und Anker, hatte auch Tote zu beklagen: Sturz aus dem Rigg, Unfall an den Winschen, über Deck spülende Seen, die Männer mit sich rissen.
In der großen Wirtschaftskrise fällt es Laeisz schwer, sie zu halten; die chemische Industrie ist auf Salpeterimporte nicht mehr angewiesen. Für 60.000 Mark kauft sie der finnische Billigreeder Erikson in Mariehamn, der sie von 1931 an auf Getreidefahrt nach Australien schickt. Im Zweiten Weltkrieg wird sie von Neuseelands Regierung beschlagnahmt und als frachttragendes Schulschiff im Pazifik eingesetzt. Sie segelt mit Wolle, Getreide und Kohle zwischen Wellington und San Francisco. Die Kapitäne reißen sich um ein Kommando auf der Pamir, die letzte Chance, noch Erfahrungen unter Rahsegeln zu sammeln. Der Kommandant des japanischen U-Boots A-12 soll angesichts ihrer Schönheit auf Versenkung verzichtet haben. Allerdings konnte diese in Neuseeland oft kolportierte Geschichte japanischerseits nie bestätigt werden, kehrte doch A-12 nie mehr in seinen Heimathafen zurück.
1949 kommt sie nach Belgien – zum Abwracker. Wieder wird sie, zusammen mit der Passat , von deutscher Seite zurückgekauft. Unter Segeln kann ein Frachtschiff schon lange kein Geld mehr verdienen, doch nun soll, mit staatlicher Hilfe, nautischer Nachwuchs ausgebildet werden. »Schiffe von gestern – Kapitäne von morgen!« lautet die Parole.
In Kiel wird die Pamir generalüberholt, 1950/51 erhält sie vergrößerte Unterkünfte, Hilfsmotor, zeitgemäße Funkausrüstung und wird von Germanischem Lloyd wie von Lloyd’s Register in die höchste Klasse eingestuft. Sie reist zwischen Hamburg und Rio de Janeiro, doch die Reederei – Heinz Schliewen in Rendsburg – gerät in Schwierigkeiten; 1954 wird die Pamir zwangsversteigert. Für 310.000 Mark bekommt sie die Schleswig-Holsteinische Landesbank zugeschlagen, und in der Stiftung Pamir und Passat findet sich ein Konsortium von 40 deutschen Reedern, die ihren Offiziersnachwuchs unter Segeln ausbilden wollen.
Unter Kapitän Hermann Eggers macht die Pamir als frachttragendes Segelschulschiff dann fünf Reisen nach Südamerika, bis er 1957 krankheitshalber das Kommando an Kapitän Johannes Diebitsch übergeben muss. Es ist just jener Diebitsch, der als junger Seemann, während des Ersten Weltkriegs, die Pamir auf der Reede von La Palma verlassen hatte. Viele Jahre war er seither unter Segeln gefahren, als Erster Offizier auf der Deutschland, dem Segelschulschiff der Handelsmarine vor 1945, und hatte sich unlängst mit der Führung der Xarifa einen Namen gemacht, des dreimastigen Topsegelschoners des damals so populären Tauchpioniers und Unterwasserfilmers Hans Hass.
Am 21. Juli 1957 schreibt er seiner Frau aus Buenos Aires: »Das Schiff, meine alte Pamir, ist trotz seines Alters ein besseres Schiff als jeder Neubau, und die Reise hat mir viel Freude gemacht.« Und am 8. August: »Am 4. dieses Monats wollten wir fertig werden, aber ein Streik verhinderte die Ladearbeiten, Militär besetzte den Hafen, und nun soll es demnächst auch mit ein bißchen Schießerei geklärt werden, wer wieder mal recht behält. Die letzten vier Tage haben wir mit den Jungens die Ladung übergenommen und getrimmt, eine Sauarbeit in Doppelschichten«
Einer der Jungen, Manfred Hastedt, schreibt nach Hause: »Acht Stunden verrichten wir jetzt Arbeit, die sonst meist nur von ehemaligen Zuchthäuslern ausgeübt wird. Meine Lungen sind voll Getreidestaub, und die Augen kann ich kaum noch aufhalten, so geschwollen sind sie…« Die elf Mark auf die Hand jeden Abend seien das »einzige, was uns davon abhielt, öffentlich zu protestieren«.
Zwei Monate später, am Vormittag des 21. September, klammert sich Hastedt mit Schwimmweste an die Steuerbordreling des Hochdecks und will nicht glauben, was er sieht: Die Pamir kommt aus schwerer Schlagseite nicht mehr hoch. Vor- und Achterdeck sind minutenlang überspült, dann tauchen auch die Rahen in die tobende See.
Um 14 Uhr Greenwich Mean Time (GMT) registriert der US-Frachter Penn Trader auf 500 kHz das SOS: »Here german fourmastbark ›pamir‹ at position 35.57 n, 40.20 w, all sails lost, lopside 35 degrees, still gaining, ships in vicinity please communicate, master« (»Hier Viermastbark Pamir auf Position 35.57 Nord, 40.20 West, alle Segel verloren, Schlagseite 35 Grad, noch zunehmend, Schiffe in der Nähe bitte melden, Kapitän«). Und um 14.54 Uhr: »SOS, SOS, SOS de DKEF rush rush to us, german fourmast broken ›pamir‹ danger of sinking, master« .
Das Handelsschiff President Taylor hört sieben Minuten danach noch einen unentzifferbar gestörten Funkspruch der Pamir, dann antwortet sie auch auf die Anrufe anderer Schiffe nicht mehr. Das Missverständnis »fourmast broken« statt »fourmast bark« führt zu Pressemeldungen, der Pamir sei der Fock-(Vor-)Mast gebrochen. Viele in der Nähe stehende Schiffe nehmen Kurs auf den Havaristen. Von den Azoren her kommen Suchflugzeuge.
Erst 56 Stunden nach dem Untergang findet der US-Frachter Saxon ein schwer beschädigtes Rettungsboot. Darin, bis zur Brust im Wasser, der Kochsmaat Karl-Otto Dummer, die Leichtmatrosen Klaus Fredrich und Hans-Georg Wirth und die Schiffsjungen Folker Anders und Karl-Heinz Kraaz.
Dummer, 24, berichtet: »Als der Sturm anfing, hatten wir noch vier Stagsegel sowie Mars und Fock stehen. Der Befehl, die Segel einzuholen, konnte nicht mehr befolgt werden, da die Gewalt des Windes zu stark war. Fast alle diese Segel zerrissen kurze Zeit später und flatterten ebenso wie die abgerissenen Taue wild hin und her. Die Stammmannschaft musste in die Masten, um die Segeltaue zu kappen. Dann holte das Schiff mehr und mehr über [] Wir hingen alle an der Steuerbordreling, das Deck beinahe senkrecht unter uns. Dann fielen alle 86 Mann, die auf dem Hochdeck waren, auf einmal ins Wasser. Alles plumpste übereinander. Im Wasser stieß einer den anderen. Dabei sind wahrscheinlich schon viele ertrunken.« Er sucht vom Schiff wegzuschwimmen. »Das Schiff schwamm jetzt kieloben im Wasser. Die im Rumpf noch vorhandene Luft entwich mit schrillem Pfeifen…« Er sieht eine gelbe Fontäne aufsteigen, durch ein Leck im Unterwasserschiff wird lose Gerste mitgerissen.
Zu zehnt erreichen sie ein beschädigtes Rettungsboot, das sich aus den Halterungen gerissen und durch die Lufttanks noch Auftrieb hat. Sie finden Notverpflegung, doch kein Trinkwasser. Sie hocken sich so tief es geht ins Wasser, wo es wärmer ist als an der Sturmluft. Sie sehen suchende Schiffe, die sie nicht bemerken. Durst, Erschöpfung, Schlafentzug und Halluzinationen quälen die Männer. Fünf von ihnen sterben. Die anderen halten durch, bis die Saxon sie aufnimmt.
Am 25. September findet das US-Küstenwachschiff Absecon noch den sechsten Überlebenden, den Leichtmatrosen Günther Haselbach. Von mehr als zwanzig Männern in seinem voll geschlagenen Boot blieb nur er allein am Leben.
Wie konnte es zu einer Katastrophe dieses Ausmaßes kommen? Anfang 1958 trat das Seeamt Lübeck zur Untersuchung zusammen. Doch sein Spruch wird bis heute kontrovers diskutiert.
Das Seeamt, dem kein Rahsegler-Kapitän angehörte, erklärte zwar, sich nur auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeiten äußern zu können, traf jedoch insofern eine Tatsachenfeststellung, als es höhere Gewalt ausschloss und Kapitän Diebitsch wie dessen Arbeitgeber, Stiftung und Reederei, schwer belastete. Kapitän und Erster Offizier, mit dem Schiff nur mangelhaft vertraut, hätten zu viel Segelfläche stehen lassen, den Ballasttank nicht geflutet und Decksöffnungen nicht ausreichend gegen überkommendes Wasser gesichert. Daher hätten Orkanböen das Schiff so stark krängen können, dass die Ladung verrutschte, es kenterte und schließlich sank.
Männer vom Fach, unter ihnen altgediente Rahsegler-Kapitäne, halten dagegen. Während Angehörige und Vorgesetzte des ertrunkenen Kapitäns, die in Lübeck kein rechtliches Gehör gefunden hatten, zunächst darin übereingekommen waren, »aus Gründen der Pietät und, weil nichts rückgängig zu machen war, die Sache ruhen« zu lassen, verfolgte Horst Willner, Anwalt der Stiftung Pamir und Passat, der Reederei wie der Kapitänswitwe, den Fall weiter. 1991 veröffentlichte er nach langwierigen Recherchen sein Buch »Pamir«, ihr Untergang und die Irrtümer des Seeamtes , das ein neues Licht auf die Umstände der Katastrophe wirft.
Willners Erkundungen zufolge hat der sehr erfahrene und umsichtig handelnde Johannes Diebitsch, Kapitän seit 1925, der grausamen Carrie geradezu schulmäßig im so genannten »befahrbaren Viertel« zu entkommen gesucht. Dazu habe er das Schiff im »Galedress«, der Sturmbesegelung, laufen lassen, mit der die Pamir oft genug schweres Wetter gemeistert hatte. Allein die mehrfachen, völlig ungewöhnlichen Bahnänderungen des fatalen, »most intense hurricane of the year« (Mariners Weather Log, Nr. 6) hätten ihr Verhängnis bedeutet.
Das Urteil stützt sich auch auf Einlassungen Überlebender: Hans-Georg Wirth hatte dem Seeamt geschildert, wie die Besatzung um 10 Uhr Bordzeit (13 Uhr GMT) unter Deck geschickt wurde, um die Bullaugen dichtzuschrauben. Dabei habe er in Kammern, deren Bullaugen geschlossen und unbeschädigt waren, Wasser »bis über die zweite Schublade« vorgefunden. Kochsmaat Dummer, er sollte Zigaretten und Schnaps holen, fand Wasser bis an die Türklinke des Proviantraums, das nicht über den Steuerbordniedergang an der Luvseite eingedrungen sein konnte. Er vernahm aus der Tiefe des Schiffsrumpfes Geräusche, die auf starken Wassereinbruch deuteten – für Willner und die Kritiker des Seeamtes Indizien für ein Leckschlagen des Schiffes. Die extremen Schläge der gewaltigen Seen müssen den stählernen Rumpf in kürzester Zeit regelrecht zermürbt haben, durch Risse drang dann von unten her das Wasser ein. Das Schicksal der Pamir war besiegelt.
Einige Flying-P-Liner haben heute noch Wasser unter dem Kiel. In Travemünde liegt die Passat, in New York die Peking als Museumsschiff an der Pier, in Mariehamn auf den finnischen Alandinseln die Pommern. Und eines der Prachtschiffe segelt immer noch; fast jedes Jahr im Mai zum Hamburger Hafengeburtstag kehrt es zurück in seine alte Heimat: die Padua, die heute als Russlands Schulschiff Krusenstern die sieben Meere kreuzt.
Der Autor ist Kulturhistoriker und Publizist und lebt in Köln.
Der ARD-Zweiteiler »Der Untergang der Pamir« ist am 17. 11. um 20. 40 Uhr und 22.10 Uhr auf Arte, und am 22. und 24. 11., jeweils um 20.15 Uhr, im Ersten zu sehen |